Geschichten
Diese Rublik ist reserviert für Geschichten, die der Fotograf Hanno Thurnher in den Bundesländern auf seinen Touren durch die Alpenrepublik erlebt und überlebt hat...
Auf´s Land hinaus…
Auf´s Land hinaus…
Ich habe mir Ende 2016 das Ziel gesetzt, Auftragsarbeiten, eigene Projekte und den Aufbau eines österreichweiten Bildarchivs (für den täglichen Gebrauch), nur noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln und dem Fahrrad umzusetzen. Nicht blauäugig habe ich diesen Entschluss gefasst, denn ich hatte bereits einige Erfahrung auf diesen Gebieten: Langzeitprojekte verwirklichen zu können, hart im Nehmen zu sein und bereits unkonventionelle Erfahrungen mit dem Fahrrad im urbanen Raum gemacht zu haben. In den Städten kannte ich mich aus, da konnte man mir nichts vormachen, denn ich bin in den frühen 1990er Jahren viel in den großen Metropolen Europas unterwegs gewesen, um zu fotografieren. Mit dem Auto bin ich gependelt zwischen den Städten und in den Zentren bin ich geradelt. Auch in Paris - damals die Hölle des Individualverkehrs - aber auch die Städte des Ruhrgebietes, Rom und Mailand kannte ich neben vielen anderen europäischen Zentren vom Drahtesel aus. Sogar London habe ich gemacht, aber das war wirklich mühsam, wegen des Linksverkehrs.
Aber so auf das Land hinaus mit dem Fahrrad, dass ist außerhalb Vorarlbergs, vom Urlaubsradeln im ländlichen Ruhrgebiet (das gibt es wirklich) und von verschiedenen Regionen Frankreichs abgesehen, im Jahre 2016 neu für mich. Und ich werde gleich ins kalte Wasser geworfen, und wie! Wann? – im Germinal, im Saatmonat. Ende März herum. Wo? Ich kann es nicht mehr genau verorten. Die Reblaus war ansässig, Zuckerrüben und Maisanbau haben dort eine große Bedeutung. Hügelige Gegend und äußerst anstrengend zum Radfahren, zumindest für mich mit meinem billigen Mountainbike. Ich komme vom Bahnhof und fahre bis zur nahen Hauptstraße – und schon bin ich in medias res: Raser ohne Ende! Kaum, dass ich gefahrlos über die Straße komme! Kein Fahrradstreifen und lauter „Narren“, die den Abstand nicht einhalten, oder einhalten wollen. Ich fühle mich zurückgeworfen vor den Sommer 1960, als in Österreich die Straßenverkehrsordnung (StVO 1960) beschlossen wurde. Selbst Mopedautos werden zur ernsten Bedrohung und nach dem dritten tollkühnen Überholmanöver wächst der Verdacht, dass diese Typen mal andere, größere Autos gefahren haben und nur durch die Bezirksbehörden in ihre Reblaussprinter „gezwungen“ wurden. Tempo 80 macht die Landstraße sicherer, wer wüsste das nicht, aber hier gilt Tempo 100! Aber das ist für die meisten nur so eine Art Richtgeschwindigkeit. Noch dazu Mais- und Rübenbauern bei der Aussaat, die sich jetzt nicht auch noch um die Verkehrsregeln kümmern können. Traktoren, groß wie Muldenkipper, verschmutzte Straßenabschnitte und immer wieder Fahrbahnschäden, meist am Fahrbahnrand und natürlich das unbefahrbare Bankett. Was ist das für ein Einstieg!
Aber - schönes Wetter, angenehme Temperatur und eine wunderbare Gegend und kein Hupen und kein Fenster runterkurbeln und freche Worte! Das hört man hier nicht. Das war früher anders. . Der Fahrzeuglenker und die Fahrzeuglenkerin ärgert sich heute nach innen, sie toben im Auto, im Traktor, im Mopedauto und im LKW. Sie fluchen, schreien, fuchteln (außer in den Reblaussprintern, dort fehlt der Platz), sie schalten vom 5. in den 2. Gang zurück – eine Art terrestrische Schubumkehr - und jagen mit laut aufheulendem Motor, demonstrativ im weiten Bogen, an mir vorbei! Nur eine Staubwolke, vom getrockneten Dreck der Äcker, bleibt zurück! Aber sie hupen nicht mehr, das einzig Positive, dieser ersten größeren Fahrradtour im ländlichen Raum Niederösterreichs.
Nach 30 Kilometer in „Feindesland“ bin ich erstmal so richtig eingeschüchtert. Es ist mir eindrücklich gezeigt worden, dass ich auf der untersten Hierarchiestufe stehe. Eine Art Rekrut der Landstraße und zusätzlich verhasst wie kein Verkehrsteilnehmer sonst. Ich fühle mich zurückversetzt an meine Bundesheerzeit: einsam mit 2 weiteren „Sündern“ auf einem riesigen Kasernenhof beim Strafexerzieren, herumkommandiert von einem „Jorge Fidela-Typen“, dem es nicht zu blöde war, uns stundenlang zu drangsalieren und wir drei uns innig schworen, bei günstiger Gelegenheit, ihm seinen Schnauzbart abzuschneiden! Aber hier draußen in dieser einsamen Gegend habe ich nicht mal Verbündete im Geiste, keinen Einzigen! Selbst von den wenigen Fußgängern auf den Feldwegen werde ich verhöhnt. Was ich hier mache, ob ich verrückt sei, entkommt es einem alten Mann am Stock. Gegen Abend wird es dann endlich ruhig auf den Straßen und ich kann die schöne Landschaft genießen, vorbei am einsamen Bahnhof Pulkau, aufgelassen schon vor 35 Jahren, bevor ich erschöpft in der Pension ankomme.
Am liebsten hätte ich es gelassen. Aber irgendwie wächst dieses Gefühl in mir: „Das lasse ich mir nicht gefallen, die sind auf dem Holzweg, nicht ich! Die müssen sich ändern, meine Transformation ist am Laufen!“ In der nächsten Zeit fahre ich dann aber doch eingeschüchtert auf den Radwegen, wenn es überhaupt welche gibt. Doch das ist sehr mühsam und auch nicht ungefährlich, teilweise gefährlicher als auf der Straße. Eng und unübersichtlich ist es in den Dörfern, nicht wie auf der Landstraße, wo man, zumindest nach vorne, alles übersichtlich vor sich hat. Man ist vor jedem Hauseck und jeder Hecke gewarnt und auf alles gefasst. Besonders Hunde, meine größten „Freunde“! Es wird noch darüber zu berichten sein. Eine Zeit lang mache ich die „Pflanzerei“ mit, wenn man erst nach links, dann wieder über die Straße geleitet wird, danach über eine enge Brücke und wieder auf die andere Seite und plötzlich endet der Radweg! Oder in ein Dorf hinauf und wieder hinunter auf die Landesstraße und gleich über die Straße im engsten Radius auf Kopfsteinpflaster eng durch eine niedere Unterführung mit Restwasser, und wieder endet der Weg unvermutet. Oder man fährt auf einem Kiesweg mit starkem Mittelfahrbahnbewuchs und Pfützenbildung links und rechts davon. Was man den Radfahrern zumutet, würde bei den Autofahrern zu riesigen Protesten führen. Da besinnt man sich dann schnell, dass man eigentlich kein Hobbyradler ist, sondern das beruflich macht und nicht die Zeit hat sich den schlecht beschilderten und viel längeren Radweg zu suchen. Der Berufskraftfahrer fährt auch nicht zum Spaß über den Arlbergpass! Spätestens nach dem 5. Radweg bekommt man auch ein Feingefühl für feudale Besitzverhältnisse, wenn man zum x-ten Mal mit einer absurde Verkehrsführung sekkiert wird. Die jakobinischen Kräfte werden frei und treiben einen auf die Hauptstraßen zurück. Nicht einmal abgeschreckt von den vielen Holzkreuzen am Wegesrand! Man wird fatal an einen alten Revolutionsspruch erinnert: „Man starb früh und öffentlich und sah dem Tod stoisch ins Auge!“.